Jensblog
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Hebe das Kinn, strecke das Gesicht in die Abendsonne, sitze unterhalb des Münsters vor der „Alten Wache“, trinke ´n Schluck Grauburgunder und es lässt sich nicht leugnen:
Ich liebe das-dieses Leben. Am Nebentisch drei ältere Franzosen (muss jetzt immer denken, hej, bin ja auch schon sechzig), die mit tiefen Schlucken ihr Glas leeren und sich jeweils immer anderen Wein kredenzen lassen. Ein gelassenes Palaver.
Habe mir meine Alleinauszeit genommen, setze mich in eine Buchhandlung (und vor allem nicht Thalia, aber auch), lasse mir mal neue Bücher empfehlen. Sehe im Schaufenster mehrere Bücher vom Hirnforscher Hüther, u.a. „Männer - Das schwache Geschlecht und sein Gehirn“, habe ihn mal persönlich sprechen gehört, faszinierend, jetzt Euro 17 für ´n paar Seiten, ganz amüsant, hab´ mir dazu ´n Kaffee geholt und in kurzer Zeit war ich durch. Nicht gekauft, aber er ist ´n guter Schreiber. Wer ihn und das Thema nicht kennt – empfehlenswert.
Danach habe ich auch überhaupt nicht gefragt, sondern nach Krimis, aber möglichst nichts Skandinavisches. Das wiederum freut offenbar die nette Buchhändlerin und sie gibt mir fünf Bücher in die Hand, die ich in aller Gemütsruhe durchblättere.
Drei davon gekauft und sehr lesenswert:
„Kind 44“ von Tom Rob Smith, Goldmann TB, Anfang der 50er Jahre in der UDSSR werden Kinder bestialisch gekillt, obwohl es im real existierenden Sozialismus ja keine Kriminalität gibt, geben darf. Ein historischer Krimi, spannend und erschütternd die Denunziation innerhalb des Stalin-Regimes, eine Geschichtsstunde, harter Realismus, Überwachungsstaat, Geheimdienstterror. Zwangsläufig sehe ich dabei immer diese heutige Putin-Fratze vor mir. Warum wohl?
„Das Schiff“ von Stefán Máni, List TB, eher ein isländischer Abenteuerroman statt eines Krimis. Die letzte Fahrt einer neunköpfigen Schiffscrew, von der alle ganz schön Dreck am Stecken haben. Jeder will seine dunkle Vergangenheit verbergen. Eine Meuterei ist geplant, weil die Reederei das Schiff verkauft hat. Diese Charaktere aufeinander losgelassen, das entwickelt sich hochdramatisch. Spannend und düstern geschrieben, mit ´ner Menge philosophischer Sprengsel.
Und dann die Krimis um den Avvocado Guido Guerrieri von Gianrico Carofiglio aus Italien. „Reise in die Nacht“ und „Das Gesetz der Ehre“. Auch dies eigentlich keine Krimis, Romane eher leise und melancholisch, kein großer Sex oder Gewaltorgien, aber diesen Avvocado, witzig, klug, sensibel, kennenzulernen, das macht richtig Freude. Überhaupt keine spektakulären Geschichten, aber so eine liebenswerte Lektüre. Wie Weine aus dem Badischen Winzerkeller. Meine erwachsenen Kinder allerdings finden diese Bücher etwas langweilig.
Meine erste Frage in diesem Buchladen allerdings war, ob es noch mehr von Adler Olson gibt. Sein Krimi „Erbarmen“ um den Kommissar Carl Mørck ist Weltklasse. Ein richtiger Psychothriller mit Gänsehautgefühl. Stig Larsson ok, aber dies hier gefällt mir noch besser. Und wenn selbst meine Frau so ein Buch in einem Rutsch durchliest, dann ist das die höchste Punktzahl.
Geschenkt bekommen habe ich es zum 60. von einem lieben Freund. Hatte erst gedacht, puh, schon wieder Skandinavien, kann diese düsteren, kettenrauchenden, versoffenen, in privaten Problemen ertrinkenden Männer/Frauen in Regen und Nebel versunkenen Typen nicht mehr lesen. Aber dies Buch lohnt sich sehr.
(Stehe einen Tag später wieder in dieser doch großen Freiburger Buchhandlung und die Buchhändlerin sagt zu mir: „Sie haben doch gestern, warten Sie, diese drei Bücher – und sie zählt sie genau auf - gekauft, habe mich gleich an Sie und unser Gespräch erinnert. Haben Sie die etwa schon alle gelesen?“)
Draußen scheint die Sonne nach dem Regen wieder. Wunderbar. Und die Schule soweit weg. Ich brauche sie nicht mehr.
Kein Internet über 10 Tage, will ich überhaupt nicht - wie überaus angenehm.
Ich bezahle, kaufe mir noch in der „Alten Wache“ den Ihringer-Tropfen, gehe zum Ende der Straße, wende ich mich nach rechts, überquere die Brücke und setze mich ins Gras an der Dreisam in die Sonne, packe die Bücher aus und beginne erneut zu lesen.
Wärme und Licht,
bleib bescheiden.
Geweckte Sinne in Freiburg (Breisgau), 2
Samstag, 17. April 2010