jensblog
jensblog
Mein Gott, was für ´n Hype um ein Liedchen für Oslo und ´n lütt Deern, die als Gewinnerin ihr bestes Abideutsch stammelt. Straff die Gesäßbacken und rotglühenden Wangen. Auf der Siegerstraße – wie lange? Unsere Lena.
Ich aber quäle mich gestern für ´n Stunde über die matschigen Moorwege, bin froh, dass die Brustgurtbatterie schwächelt und mir die wahre Leistung verschweigt. Brauche zehn Minuten länger als im Vorjahr um diese Zeit, der einsetzende Regen stichelt im Gesicht. Fühle mich gut und gleichzeitig beschissen.
Ganz einfach, die Sonne fehlt uns seit zu vielen Wochen. Und außerdem bin ich ein Jahr älter. Abgesehen davon ist Glück in mir, ´n ganz großer Batzen.
Diese Tristwetterstimmung kann man mit Büchern von Weisen aufhellen, dazu ´nen Roten trinken und Musikklänge wabern lassen. Mir hilft das.
Aus dem Regal geholt, seit 1997 dort gelagert und zwei-dreimal in diesen Jahren gelesen, welche anspruchsvolle Freude des Wiederlesens „Vom Alter – De senecute“ von Noberto Bobbio (1909– 2004), Wagenbach Verlag. Geschrieben hat der Rechtsphilosoph und Publizist dieses kluge und ruhige Buch über das Leben und Altwerden mit 87 Jahren.
„Das Alter ist auch die Zeit der Bilanzen. Und die Bilanzen sind immer ein wenig melancholisch, wobei die Melancholie als das Bewusstsein um das Unvollendete, Unvollkommene, um das Missverhältnis zwischen den guten Vorsätzen und den tatsächlich vollbrachten Taten zu verstehen ist. Du bist am Ende des Lebens angekommen und hast doch den Eindruck, am Ausgangspunkt stehengeblieben zu sein, was das Wissen um Gut und Böse betrifft. Alle großen Fragen sind unbeantwortet geblieben. Nachdem du immer versucht hast, dem Leben einen Sinn zu geben, erkennst du jetzt, dass es keinen Sinn hat, sich die Frage nach dem Sinn zu stellen, und dass das Leben in seiner Unmittelbarkeit angenommen und gelebt werden muss, wie es die allermeisten Menschen tun. Aber wie lange hat es gedauert, bis du zu dieser Schlussfolgerung gekommen bist!“
Gut, dass ich dieses Buch nicht weggeschmissen oder verkauft habe – wie Hunderte anderer Bücher. Zieht man sich damit zurück, wird die Luft rausgelassen aus dem hektischen Alltag. Ich bekomme etwas erklärt, was offensichtlich ist, ich schon seit langem eigentlich weiß, aber doch noch nicht so richtig erkannt habe.
„Die Welt der alten Menschen, aller alten Menschen, ist in mehr oder weniger ausgeprägter Form die Welt der Erinnerung. Man sagt: am Ende bist du das, was du gedacht, geliebt, vollbracht hast. Ich möchte hinzufügen: du bist das, was du erinnerst. Außer den Gefühlen, die du geweckt hast, den Gedanken, die du gedacht hast, den Taten, die du vollbracht hast, sind die Erinnerungen, die du bewahrt und nicht in dir ausgelöscht hast, deine Reichtümer und du bist ihr einziger Wächter. Möge es dir gestattet sein, so lange zu leben, wie die Erinnerungen dich noch nicht fliehen und du dich in sie flüchten kannst.“
In diesen Seelentakt hinein ein kleines Wunder.
Seit vielen Jahren höre ich wieder ´ne komplette Jazzplatte dazu, soulful, Musik, die atmet, fast gänzlich ohne menschlichen Stimmen, mit Klarinetten, Trompeten, Saxophon und Allen Toussaint´s Piano. Jazzstandards – perfecto – von Duke Ellington, Django Reinhardt, Louis Armstrong und Thelonious Monk. Unangestrengt und herzensvoll diese Musik. „Just A Closer Walk With Thee“ läuft und meine Liebesfrau, gerade mit einer geliebten Tochter nach ihrer Heimkehr telefonierend, kommt rein. „Aha, heute Abend hast du mal ´n ganz andere Musik. Das Stück hatten wir doch auch für die Beerdigung meines Vaters ausgewählt!“ Pause. „Also schreibst du jetzt bestimmt was!“ Reichtum der Erinnerung.
Stimmt und die Klänge dazu: „The Bright Mississippi - Allen Toussaint“
Dankbar sein,sich erinnern zu dürfen.
Gibt es Weisheiten?
Vom Reichtum der Erinnerung
Sonntag, 14. März 2010