Geschichten
Geschichten
Immer werdet ihr bei uns sein und uns begleiten – so wie es viele Jahre war. Ab jetzt eben anders.
Wir sind traurig, dass ihr nicht mehr da sind und glücklich, dass Trudchen nach über sieben Jahren als Schwerstpflegefall nicht mehr leiden muss.
Wir lieben euch.
Jetzt muss Opa wieder für seine geliebte Frau sorgen. Die lange Wartezeit ist zu Ende.
Also mach´ die Fahrräder klar und räum´ da unten ´n bisschen auf.
Heute am Todestag deiner Frau wurde hier noch der gedeckte Apfelkuchen von Oma gebacken. Kein Fest ohne den Leckerapfelkuchen von ihr, für den sie oft schon um fünf Uhr morgens aufgestanden ist.
„Sie hat so flinke Hände!“, hat Opa immer so voll stolzer Liebe gesagt.
Nun seid ihr wieder vereint, umarmt euch.
Ihr werdet uns fehlen und doch immer für uns da sein.
Jens, Christa, Lea, Nele und Jos Sienknecht und Nis und Finn, die ihr leider nicht nicht mehr kennen lernen konntet.
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Die folgenden Textpassagen sind Teile einer längeren Geschichte, die schon vor einigen Jahren als Liebes-Opa und Oma-Hommage geschrieben wurde. Für Willi und Tudud aus PommernPlön!
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( Opa Willi geht mit seiner Enkelin Lea am Plöner See spazieren. Am Himmel eine Wildgänseformation, die einem großen L ähnelt. Sie erfinden dazu Wörter, die mit einem L beginnen.)
„Du bringst hier die fast eingetrockneten Gehirnwindungen deines alten Opas ganz schön auf Trab, kleines Fräulein! Mit L nämlich“, er gibt ihr noch einen dicken Kuss auf die Wange, „beginnen auch noch die Wörter Liebe, Lachen und Leben, kleine Maus!“
Aber auch Leiden, Lust, Laster und Lüge. Da hält er aber lieber den Mund, jetzt versteht sie es sowieso noch nicht. Später. Fünfzehn Jahre später wird sie ihm von ihrer ersten wirklichen Lebenskrise erzählen.
„Und nun lass´ uns reingehen. Großmutter wartet mit dem Abendbrot und die Vögel hier draußen müssen auch ´mal zur Ruhe kommen!“
„Komm Williopa, trag mich rein!“, klatscht sie in die Hände.
„Du hast noch Apfelpfannkuchen vergessen. Da steckt auch ein L drin. Die hat die liebste Oma Welt und beste Köchin der Welt gebacken. Und die hauen wir uns jetzt rein!“
„Oma Tudud oder die Pfannkuchen?“, grient ihr Großvater sie an.
Lea stutzt kurz, dann wirft sie Arme um seinen Hals und umschlingt ihn ganz fest.
Liebe ist Liebe und manche Mütter, Töchter und Omas leuchten wie die Abendsonne des Spätherbstes und machen die Zeit gleichgültig. Das ist wahrhaftige Schönheit. Du musst lernen, das Schöne zu sehen. Dann begegnest du auch der Wahrheit.
„Hallo, kann mich da draußen jemand hören? Glaubt ihr vielleicht, ich stehe hier umsonst stundenlang in der Küche? Wo treibt ihr euch nur wieder rum? Dass man sich auf euch Männer nienich verlassen kann! Mir ist es unerklärlich, wie man euch auf den Leim gehen kann!“
Willi liebt alle Nuancen dieser Stimme. Gespielte Empörung in der Vorfreude, gleich ihren Liebsten einen Seelenschmaus vorsetzen zu können, den diese dankbar schmatzend vertilgen.
Frohe Erwartung, spätestens nach fünf Minuten, gespielte Vollliebe.„Ach, Tudud! Da hast du dich ja heute wieder selbst übertroffen. Das schmeckt ja ganz fein!“, ergänzt durch die Kinderstimme:„Ganz, ganz lecker Oma! Das kann es jede Woche mindestens einmal geben!“
Und die Lobpreisung am Ende der Mahlzeit, wenn Opa Willi den Hosenknopf öffnet und ihr nach so vielen Jahren immer noch so vernarrt sagt:
„Wie Du das immer alles so schaffst, Tudud! Einmalig!“
Dann glühen zwei alte Wangen, fast noch ganzohne Falten wie Nele immer sagt, richtig auf und die Leafreudeapfelbäckchen bekommen ernsthafte Konkurrenz in der Farbtiefe.
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„Der Kerl macht einfach was er will! Zieh´dir mal ne anständige Hose an, wenn du einkaufen gehst! Wenn es nach dir ginge, würde es fast nur Fleisch geben. Und nachmittags immer ein Stück, na zwei oder drei werden es dann doch, wird ja sonst so trocken, von meinem Kuchen. Ein bisschen solltest du schon mal auf deinen Bauch Acht geben! Manchmal lässt du einen Pups, das ist mir schon richtig peinlich, da bläht sich fast deine scheddrigge Cordbüx! Mach´dir deine Fingernägel doch abends richtig sauber!“
Oma Trudchen spielt die Verzweifelte, stöhnt und flucht, aber hinter jedem Wort spürt man die unbeirrbare, tiefe und leidenschaftliche Liebe von ihr zu diesem Mann, der sich für die Menschen, die er liebt, den Hintern aufreißt.
Und immer Opa Willi bleibt – ausdauernd in seiner Liebe und Hilfsbereitschaft, auch bei Nackenschlägen.
Der witzig ist und abends über sein Tagwerk nachdenkt. Und tatsächlich darüber spricht, egal wer im Raum sitzt. Und daher manchmal auch laut mit sich selbst.
Der für seine Liebsten sorgt und nicht selten Geschenke mitbringt, die keiner braucht, weil Oma Trudchen zu Beispiel schon vier Armbanduhren hat.
Der neben diesem Schmucktick noch in verstärkter Ausprägung sein „Guck´mal Tudud, sind das nicht wunderbare Kartoffeln oder Bohnen oder Erdbeeren oder Möhren oder...einfach wunderbar!“ - Syndrom spätabends bei der Rückkehr aus seinem Gemüseschrebergarten präsentiert.
In der linken Hand den 10kg Erbseneimer und rechts in einem Plastiksack die abgeernteten Früchte von vier Johannisbeersträuchern, die er dieses Jahr extra lang reifen lässt.„Leider sind die Äpfel noch nicht so weit, Trudchen!“ und die ersten Schweißflecke bilden sich auf ihrer Schürze. Zwei Minuten später ist die Bluse durch!
„Bärchen, bist du des Teufels? Wie soll ich das denn alles auf einmal verarbeiten?“
Und der Teufel lacht: „Guck´ dir doch nur mal diese Rote-Beete-Knollen an! Sind die dieses Jahr nicht ´n Gedicht? So schöne Rote-Beete!“
Dann geht es häufig bis weit nach Mitternacht in der kleinen Küche rund und sie ist erfüllt von den Heimatkochgerüchen, sehr mild und der Liebe von Oma Tudud und Opa Willi.
"Sehr für immer!", wie Leaenkelinmäuschen immer sagt.
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Friedhöfe sind immer zugeklappte Geschichtsbücher des Lebens. Manchmal sollte man diese Bücher wieder lesen. Für manche Angehörige bedeutet der Tod eines bestimmten Menschen einen Befreiungsschlag aus und von ihrer Vergangenheit.
Aber dennoch ist die Vergangenheit das stärkste, was uns eine eigene Persönlichkeit verleiht. Wir sind eben einfach das, was wir tun und wo wir herkommen.
Und deshalb solltest du dir später die Vergangenheit häufiger vor Augen führen, damit du nicht vergisst, wer du eigentlich bist.
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Geschrieben für unsere Oma und Mutter
Gertrud Jahnke (25.10.1921 – 21.12.2008)
und ihren Mann, unseren Opa und Vater
Willi Jahnke (17.05. 1917 – 01.02.2002).
Flinke Hände
Donnerstag, 3. Dezember 2009